Brainspotting

“Was ist Brainspotting?

Brainspotting ist eine tiefenpsychologische und körperorientierte Methode zur Verarbeitung von psychischem oder traumatischem Stress. Es ermöglicht eine spontane, unmittelbare Verarbeitung traumatischer Belastungen im Gehirn, ohne dass bewusste Erinnerungen vorhanden sein müssen.
Während einer Behandlung mit Brainspotting entsteht in den tieferen Gehirnstrukturen eine Aktivierung, die unmittelbar zu Reflexen im Augenbereich und Gesicht führen, wie z.B.: vermehrtes Blinzeln, Augenzuckungen, Augen wackeln, Pupillen-erweiterung, abruptes Einatmen, Verengen der Augen usw. Je nachdem wo die Klientin hinschaut, wird das belastende Thema im Körper stärker oder schwächer wahrgenommen.
Ein Brainspot ist dort zu finden, wo die Reflexe am stärksten wahrgenommen werden. Er wird meist mithilfe eines Teleskop-Zeigestabs gefunden, damit die Augenposition von der Klientin leicht beibehalten werden kann. Es treten unmittelbar Körpersensationen, Gefühle oder traumatische Erinnerungen auf, welche im Gegensatz zu Flashbacks nicht mit dem Bewusstsein gekoppelt sind und daher schonend und direkt verarbeitet werden können.

Die Klientin ist währenddessen bei natürlichem Bewusstsein, ohne jedoch den psychischen Stress währenddessen erneut zu erfahren.

Zur Selbsteinschätzung des traumatischen Stresses verwenden wir am Anfang und Ende einer Sitzung die gestufte Belastungsskala nach Wolpe (1969) von „0“ kein Stress bis „10“ maximaler Stress, auch SUD (Subject Units of Distress) genannt. Zur Entspannung des Gehirns (gentle brain massage) verwenden wir spezielle biolaterale Musik über Kopfhörer.

Brainspotting (BSP) ist einer der ersten neuro-psychotherapeutischen Ansätze, bei dem eine vollständige Auflösung von psychischem Stress möglich geworden ist; sogar dann, wenn belastende Erfahrungen im Säuglingsaltert, perinatal oder pränatal bestehen, die bewusst nicht abrufbar bzw. nicht erinnerbar sind. Wie wir heute aus Ergebnissen der bildgebenden, modernen Hirnforschung wissen, führt chronisch psychischer Stress zu einem reduzierten Volumen im Gedächtnisspeicher des Hippocampus im Gehirn, was zu diversen Formen von Gedächtnisstörungen führen kann. Gleichzeitig werden im „Angst-Warn-Zentrum“ oder Amygdala im Gehirn dieser Menschen in großen Mengen Stresshormone ausgeschüttet. Eine Dauererregung dieser Art findet man insbesondere bei Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen, Panikattacken, Phobien, Depressionen, chronisch-emotionalem Stress und sexuellem Kindesmissbrauch. Traumatisierte Menschen sind davon am stärksten betroffen.
Mithilfe dieser neuen „Technik“ und einer fundierten therapeutischen Weiterbildung in Brainspotting werden Klientinnen nicht mehr retraumatisiert, und es hält den Empathie Stress bei Therapeutinnen sehr gering. Dadurch sind täglich mehrere intensive Trauma Behandlungen für Therapeutinnen möglich geworden.

Der Begriff »Brainspotting« stammt von dem amerikanischen Psychoanalytiker David Grand. “brain” bedeutet Gehirn und “spotting” (to spot) meint erspähen, erblicken, ausfindig machen. Wir sind heute in der Lage, das Gesichtsfeld dafür zu nutzen, um das menschliche Gehirn zu scannen. Wir können damit erkennen, wo das eigentliche „Problem sitzt“ und woraus es sich zusammensetzt. Der therapeutische Verarbeitungsprozess läuft über das implizite Gedächtnis der Klientin ab, die Therapeutin folgt dem Prozess ruhig-beobachtend, intuitiv, mit Neugierde ohne: Vorbehalte, Hypothesen oder Deutungen. Dies wirkt sich auf den Verarbeitungsprozess äußerst förderlich aus. Denn wir wissen nicht, aus welchen Bruch-stücken sich ein chronischer Stress zusammensetzt. Brainspotting nutzt die Neuroplastizität des menschlichen Gehirns zur Traumaverarbeitung.

Ziel der Methode ist eine vollständige Auflösung blockierter Erregung im Gehirn und im Körper eines Menschen. Das Brainspotting-Modell lässt sich mit allen anerkannten psychotherapeutischen Methoden gut verbinden, da es die therapeutischen Beziehung und die spezifisch-therapeutische Vorgehensweise nutzt.

Grand nennt es zu Recht „dual attunement“ (Grand, 2012) (zu Deutsch: zweifache Feinabstimmung mit der Klientin), beziehungsorientiert einerseits und neurobiologisch andererseits.

Der Entdecker und Begründer

David Grand, Ph.D. arbeitet als Psychotherapeut in freier Praxis in New York. Als Psychoanalytiker ausgebildet, lernte er bei Francine Shapiro EMDR und später bei Peter Levine Somatic Experiencing. Grand ist ein Experte in der Psychotraumatologie. Als Entdecker und Entwickler von Brainspotting leitet er Ausbildungsseminare zur Trauma-behandlung und Leistungssteigerung in den USA, Europa, dem Mittleren Osten, Südafrika und Südamerika. Er ist Entwickler und Produzent von biolateralen CD‘s zur akustischen sanften Stimulierung während Traumabehandlungen.
Kurz nach dem Hurrikan Katrina hat Grand mit akut traumatisierten Opfern vor Ort gearbeitet, worüber eine Doku gedreht wurde. Grand wendet Brainspotting ebenfalls bei Leistungs- und Kreativitätsblockaden in Sport und Kunst an.

Anwendungsbereiche mit Brainspotting

Brainspotting benötigt bei Personen mit Monotraumata, die unter akuten Belastungsstörungen leiden, normalerweise ein bis zwei Sitzungen um die Symptome und deren Ursachen zu verarbeiten. Bei mehrfach belasteten Menschen (Komplextraumata) benötigt man mit Brainspotting viel mehr Sitzungen, um eine belastungsarme oder –freie Lebensführung zu erreichen.

Brainspotting lässt sich gut und erfolgreich anwenden bei: Akuten, komplexen und einfachen Traumata, posttraumatischen Belastungsstörungen, Panikattacken, generalisierten Angststörung, Depressionen, manifesten Zwangsstörungen, Suchterkrankungen, Leistungs- und Auftrittsblockaden, chronisch-psychosomatischen Erkrankungen, Bindungsstörungen, Borderline Störungen, Schlafstörungen, Essstörungen, chronischen Kopfschmerzen, Migräne, Fibromyalgie und verschiedenen Formen dissoziativer Störungen. Viele psychiatrische Störungsbilder des ICD-10 und DSM-IV erweisen sich heute als Folgestörungen von Kindheits-Traumata und sind mit Brainspotting effektiv behandelbar geworden.

Aus heutigem Wissensstand ist die Behandlungsdauer von Menschen mit komplexen Traumata mit Brainspotting dennoch deutlich kürzer und schonender gegenüber bisherigen, bekannten Traumatherapieverfahren, wie tf-CBT (trauma focused cognitive behavioral therapy), EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) oder PITT (PsychoImaginative TraumaTherapie). Das Vorgehen ist eine Weiterentwicklung von Somatic Experiencing und EMDR mit dem Unterschied einer direkten Traumaverarbeitung im Unbewussten.
Bei Brainspotting werden folgende Techniken verwendet: Inneres Fenster, Äußeres Fenster, Brainspotting mit einem Auge, Gaze Spotting, Z-Achse und Konvergenz, Doppel-Brainspotting.”

Autor: Thomas Weber, 2013

Quelle: Brainspotting Austria